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Caroline

Strafst du noch oder belohnst du schon? - Was ist eigentlich Strafe und wie wirkt sie?

Viele Pferdefreund:innen würden von sich selbst behaupten, dass sie ihr Pferd nicht bestrafen. Stimmt das? Kann man gänzlich ohne Strafe trainieren? 


Schauen wir uns die Sache mal ein bisschen genauer an: 


Eine gängige Definition von Strafe lautet: 

"Bestrafung ist eine Konsequenz (z. B. der Entzug eines appetitiven Reizes oder das Hinzufügen eines aversiven Reizes), die die Wahrscheinlichkeit des Verhaltens, das sie hervorruft, verringert."

Azrin NH, & Holz WC (1966)


Verstärkung und Strafe sind aber nicht einfach das Gegenteil voneinander. 

Es sind zwei gänzlich unterschiedliche Mechanismen die Einfluss auf das Verhalten haben. 


Strafe vermindert ein Verhalten. Sie grenzt die Möglichkeiten des Verhaltens ein. 

Strafe führt aber nicht dazu, dass das Pferd etwas Neues lernt. Sie gibt lediglich vor, was unterlassen werden soll. 


Gehen wir noch eine Ebene tiefer ins Detail: 

es gibt zwei Arten von Strafe: positive Strafe und negative Strafe.

(Das positiv bzw. negativ ist in diesem Fall keine Wertung, sondern heißt, dass ein unangehnehmer Reiz hinzugefügt wird (positive Strafe) oder ein angenehmer Reiz wegfällt (negative Strafe) 


Eine kleine Illustration um das Ganze zu verdeutlichen: 

und hier noch zwei Beispiele dazu:

  • das Pferd soll weichen, bleibt aber stehen -> Gerteneinsatz

    (Hinzufügen eines unangenehmen Reizes = positive Strafe)

  • das Pferd hat das Maul in meiner Futtertasche -> ich drehe mich weg und es bekommt keine Karotte

    (Vorenthalten eines angenehmen Reizes = negative Strafe)


Aber halt, lernt das Pferd hier denn etwa nicht vor der Gerte zu weichen oder stehenzubleiben um die Karotte zu kriegen? 


Hier kommt nun die andere Seite ins Spiel: die Verstärkung. 


Im ersten Fall, dem Weichen vor der Gerte, lernt das Pferd mit jeder Wiederholung die Signale zu deuten, die der Strafe vorausgehen: das Schnalzen der Gerte, deren Anblick oder vielleicht genügt auch die bloße Anwesenheit der Person, die die Gerte benutzt hat um dem Pferd zu sagen: "Beweg dich lieber, sonst passiert was" 

Wichtig ist hier festzuhalten, dass das Pferd natürlich eine Handlung setzen wird um der Strafe zu entgehen, wir können aber durch die Strafe allein nicht bestimmen welche Handlung wir gerne hätten. Wir können quasi nur "den Weg versperren" zu den Optionen, die wir nicht wollen. 


Durch das erfolgreiche Entkommen oder Vermeiden der - in diesem Fall positiven - Strafe wird das Pferd in seinem Verhalten bestärkt. Es erfährt eine Erleichterung.


Kommt es wieder in eine ähnliche Situation, weiß es jetzt wie es handeln kann und es wird seine Umgebung genau auf die Warnsignale untersuchen und wachsam bleiben. 


Dieser Fall erklärt sehr gut den Zusammenhang zwischen positiver Strafe und negativer Verstärkung: um negative Verstärkung anwenden zu können, muss die Möglichkeit einer positiven Strafe im Raum stehen. 

Man muss das Pferd dann gar nicht mehr direkt bestrafen, zB mit einem Gertenhieb, denn die Eigenschaften, die Bedeutung und die Wirkung dieser Strafe haben sich auf das Signal übertragen und es reicht wenn man die Gerte nur dabei hat oder "nur den Finger hebt" und das Pferd weicht schon. 


Wir sehen, positive Strafe und negative Verstärkung sind zwei Seiten der gleichen Medaille: das gleiche Ereignis kann einmal als positive Strafe fungieren und einmal als negativer Verstärker abhängig davon, in welcher Beziehung es zur Handlung des Pferdes steht. 


Macht das Pferd etwas, das die Einwirkung der Gerte stoppt wirkt die negative Verstärkung.

Wenn das Pferd etwas unterlässt, das den Einsatz der Gerte auslöst wirkt die positive Strafe.


Welche Verhaltensweisen werden hier vor allem gefördert? 

Durch den Einsatz von positiver Strafe werden wir mehr Fluchtverhalten sehen. Negative Verstärkung resultiert in Meideverhalten. Die zugrundeliegenden Gefühle sind in beiden Fällen jedenfalls nicht als angenehm zu sehen. 



Das, was vor dem Verhalten liegt und die Konsequenz des Verhaltens sind immer gegensätzlich. Das Verhalten löst die Veränderung aus:


Wie schaut es bei unserem zweiten Beispiel aus?

Das Pferd hat das Maul in meiner Futtertasche -> ich drehe mich weg und es bekommt keine Karotte  (Vorenthalten eines angenehmen Reizes)


Hier haben wir es mit negativer Strafe zu tun. Das ist der Wegfall eines angenehmen Reizes und sozusagen die andere Seite der positiven Verstärkung. 

Auch hier ist es maßgeblich, wann in Relation zum Verhalten des Pferdes dieser Wegfall eintritt. 

Ist der angenehme Reiz vor dem Verhalten noch nicht da und wird durch die Handlung verfügbar: Positive VerstärkungIst der angenehme Reiz da und fällt durch das Verhalten weg: Negative Strafe. 


Die Verhaltensweisen, die hier angeregt werden sind das Such- und Erkundungsverhalten. Das Pferd ist nicht auf der Hut vor möglicher Bestrafung, sondern kann seine Aufmerksamkeit darauf richten, alternative Handlungsmöglichkeiten auszuprobieren um an andere oder bessere Verstärker zu gelangen. Anders gesagt lässt es dem Pferd die Freiheit, neuen Dingen mit freudiger Erwartung entgegenzugehen und nicht wie im Falle von negativer Verstärkung mit böser Vorahnung. 


Geht´s auch ganz ohne Strafe?  


Wie wir gesehen haben, sind Verstärkung und Strafe eng miteinander verbunden. Ganz ausschließen kann man Strafe daher nicht. Was können wir also tun um die negativen Auswirkungen von Strafe im Lernprozess zu mindern?

Wir können anstreben, eine möglichst "fehlerfreie" Lernumgebung zu schaffen. Das bedeutet nicht, dass unser Pferd keine Fehler machen darf, sondern, dass wir unser Training so kleinschrittig aufbauen, dass wir mit hoher Wahrscheinlichkeit eine richtige Antwort erhalten. 

So können wir den Lernprozess frustfrei und flüssig gestalten und kommen schnell an unser Ziel. 


Ich hoffe ich konnte euch ein paar neue Perspektiven zu diesem komplexen Thema geben! Schreibt gerne eure Fragen oder Anmerkungen in die Kommentare :)


Bis bald,

eure Caroline


Ps.: Wenn ihr euch ein bisschen tiefer damit auseinandersetzen wollt, empfehle ich euch unser Webinar "Berührung als Signal ohne Druck aufbauen" Hier werden wir uns auch intensiv damit befassen, wie wir sicherstellen können, dass wir wirklich positiv trainieren.


Das Webinar findet live am 5. September 2024 um 18:30 über Zoom statt und ist danach als Aufzeichnung erhältlich.



Quellen:  


Azrin N.H., & Holz, W.C. (1966). Punishment In Honig WK (Ed.), Operant behavior: Areas of research and application (pp. 380–447). Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall.)


Fontes, R. M., & Shahan, T. A. (2020). Punishment and Its Putative Fallout: A Reappraisal. Journal of the Experimental Analysis of Behavior115(1), 185. https://doi.org/10.1002/jeab.653


Sidman, M. (2000). Coercion and its fallout. Boston: Authors Cooperative;


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